Wolf Haas neuer Roman „Verteidigung der Missionarsstellung“ könnte eine kluge Aufarbeitung menschlicher Erotik sein, so meint man nach kurzem Studium des Titels zu meinen. Tatsächlich findet man inhaltlich einen Roman über die Liebe, allerdings nicht wirklich über körperliche Spielarten dieser, sondern eher über einen Mann, der sich zu besonderen weltgeschichtlichen Ereignissen verliebt.
Benjamin Lee Baumgartner ist ein Mann, der sich gern in Zeiten schwerer Seuchen verliebt. 1988 grassiert BSE in England, doch er kauft sich als Vegetarier ein Fleischprodukt, weil ihm die Kioskverkäuferin so gut gefällt und er sie unbedingt kennenlernen möchte. 2006 kommt es zur Vogelgrippe und wieder verliebt sich Baumgartner, diesmal aber in China in einem Restaurant, in welchem er Hühnchen bestellt und 2009 folgt die Schweinegrippe, natürlich ist Baumgartner vor Ort.
Wir begleiten ihn daher von Liebe zu Liebe. Das klingt auf den ersten Blick bedingt spannend. Doch Haas wäre nicht Haas, wenn er einen Roman über das Thema Liebe nur an das artverwandte Thema Seuche koppeln würde. „Verteidigung der Missionarsstellung“ ist vielmehr eine Abarbeitung an den Möglichkeiten etwas zu sagen und zu schreiben und den Formen, wie man etwas sagen und schreiben kann. Dabei macht er vor der Form des Schreibens keinen Halt und heraus kommt ein unglaublich innovatives Buch, das im wahrsten Sinne des Wortes ein riesiger Lesespaß ist! Er schafft es durch Formveränderungen des Schreibens den Inhalt zu verdeutlichen. So finden wir höchst amüsante „Regieanweisungen“ im Buch [damit wird eine intelligente Metaebene eingeführt], Texte zum Querlesen oder verdichtete Zeilen. Man könnte fast soweit gehen und sagen, Haas geht es weniger um den Satz, als um die Zeile. Das wirkt in den allermeisten Fällen sehr gelungen, nur an der einen oder anderen Stelle hat man das Gefühl, jetzt übertreibt er ein wenig. Auch die Story ist ausgeklügelt und brillant durchdacht. So wird unter anderem die Rolle von Namen und dessen Bedeutungsschwere beleuchtet, die ein oder andere Neuverknüpfung im Text ergibt aha-Momente und in einem Text voller Humor und Überraschungen ist man nie sicher, was als nächstes kommt. Wie immer, eine absolute Leseempfehlung.