Erschien 2005 unter dem Originaltitel „On Beauty“ | deutsche Übersetzung von Marcus Ingendaay erschien 2006 bei Kiepenheuer & Witsch
Schon seit geraumer Zeit wollte ich etwas von der britischen Schriftstellerin Zadie Smith lesen. Da fiel mir im Frühjahr ein Roman von ihr in meiner Wiesbadener Lieblingsbuchhandlung, dem „Zweitbuch“, in die Hand. Im Zuge der Bekämpfung meines „Tsonduku“ Faibles (ich erwähnte dies bereits an dieser Stelle), enthielt ich mich aber eines Erwerbes und bereute diese Einschätzung, um sie letztendlich wenig später zu korrigieren.[1]
Familie Belsey ist multiethnischen Ursprungs und lebt in Wellington bei Boston. Howard Belsey, dreifacher Vater, lehrt an der ruhmreichen Universität in seinem Gebiet der Kunstgeschichte, wobei sein großes Thema momentan der niederländische Maler Rembrandt ist, zu dem er ein Buch veröffentlichen möchte, das aber nicht so richtig voranschreitet. Sein akademischer Nemesis ist Monty Kipps, ein aus Jamaika stammender Gelehrter, der in London lehrt und dessen konservative Einstellung zu allen Themen des Lebens Howard zu tiefst abstößt. Zu allem Überfluss ist Howard ältester Sohn Jeremy gerade in London bei den Kipps untergekommen und noch viel schlimmer ist es, dass es ihm dort sehr gefällt, so sehr sogar, dass er ein Verhältnis mit Montys wunderschönen Tochter Vee angefangen hat. Der in solcherlei Dingen unerfahrene Jeremy muss dringend gerettet werden, denkt sich Howard, und reist nach England. Seine Frau Kiki sieht die Situation nicht ganz so verbissen, ist sie auch nicht so sehr in die politischen Grabenkämpfe ideologischer Schlachten involviert wie ihr Mann. Ihre Aufgabe ist der Fortbestand der Familie, zu der auch noch die etwas überengagierte Tochter Zora und der Teenager Sohn Levi gehört, für den das akademische Leben nicht reizvoll erscheint und dass er für verlogen hält, wenn man es mit dem Leben einfacher Leute von der Straße vergleicht.
„Von der Schönheit“ ist ein Roman, der im akademischen Milieu spielt und vom Kulturkampf zwischen liberalen und konservativen Weltsichten berichtet.[2] Das hat auch heute noch Aktualität und Smith beschreibt beide Seiten wie ein aufmerksam beobachtender Schiedsrichter, dessen Aufgabe es nicht ist zu sagen, was letztendlich richtig oder falsch ist. Auch dadurch ist der Roman über 15 Jahre nach seinem Erscheinen noch sehr zeitgemäß und kann auch für heutige Debatten durchaus erhellend wirken. Damit breitet sich ein Handlungsrahmen auf, welcher aufzeigt, dass Weltsicht nicht mit Herkunft zu tun haben muss und dass die Suche nach dem Platz in der Welt nicht (nur) durch soziale Determinierungen konstituiert wird. Smiths Roman spricht aber auch von zwischenmenschlichen Ebenen, von einer Familie,[3] die kurz davor ist, auseinander zu fallen und deren Bindekräfte zu erodieren scheinen. Interessant ist dabei eine geschlechtsspezifische Trennung von dem was man gemeinhin als Schönheit interpretieren könnte. Beide Männer jagen der „Schönheit“ der eigenen Ideologie (Howard im Aufbrechen von dem was als Schönheit tituliert wird, Monty im Erhalt davon was für ihn die Basisabkommen der Gesellschaft ausmachen) ebenso hinterher, wie der fleischlichen Schönheit. Ihre Frauen jedoch – wenngleich mit den politischen Einsichten ihrer Männer korrespondierend – stehen handlungstheoretisch über diesen Dingen und sind auf der Suche, was die Schönheit im Alltag ausmacht, sowohl in der Feststellung ihrer Vergänglichkeit als auch im Festhalten und Suchen nach der eigenen Identität in einem Organismus wie der Familie, der die Gruppenzugehörigkeit über die Individualität verortet.
„Von der Schönheit“ ist ein gut zu lesendes Buch, dass durch einen ständigen Wandel der Erzählperspektiven besticht,[4] und das durchaus Humor und ein überraschendes Storytelling bietet und neben den Themen Familie und Identität auch Fragen von Moral bzw. den Blick auf Moral aufwirft. Allerdings fehlen die ganz großen Momente und Szenen in diesem Roman, dessen Figuren sowohl sehr sympathisch erscheinen können, aber manchmal auch sehr unangenehm und verstörend beschrieben werden.
[1] Allerdings nicht bei dem besagten Einzelhändler in Wiesbaden, da dieser von meinem Wohnort Dresden fast 500km entfernt liegt und es wirtschaftlich und schon gar nicht aus Klimaschutzgründen zu vertreten wäre, wegen eines Buches nochmals dorthin zu fahren. Ich habe stattdessen einen Gebrauchtbuch-Online-Händler aufgesucht und bin mir gar nicht sicher, wie klimafreundlich das ist, kann aber definitiv sagen, dass es wirtschaftlich sehr günstig ist.
[2] Vorbild für dieses Szenario ist E. M. Forsters Roman „Wiedersehen in Howards End“
[3] In wenigen Ansätzen auch von zwei Familien, denn die Kipps sind die Vergleichsebene der Belseys. Ihre Darstellung verläuft zwar nur am Rande der Erzählung, aber auch hier bemerkt man, dass nicht alles Gold ist was glänzend zu erscheinen vermag.
[4] Einzig die Beschreibung von Kiki, welche manchmal überdeutlich pejorativ als zu dick und gleich im Anschluss als wunderschön beschrieben ist, irritiert zuweilen.